Aufgabentypen

Theorie. Im Vergleich zu anderen Fächern ist die Aufgabenkultur im Fach Informatik weniger gut erforscht. Jedoch gelten viele didaktische Perspektiven aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich auch für die Informatik oder lassen sich auf diese übertragen. Poloczek (vgl. 2014, S. 33ff) fasst die Analyse zur Aufgaben und zur Klassifikation von Aufgaben aus der Mathematikdidaktik zusammen und überträgt diese auf die Informatikdidaktik. Nach Bruder (2008, S. 28) kann die Struktur einer Aufgabe immer anhand drei Komponenten beschrieben werden. Diese drei Komponenten bestehen aus Anfangs- und Zielsituation sowie den möglichen Lösungswegen. Der Anfangszustand einer Aufgabe gibt die Voraussetzungen oder Informationen für die Aufgabe oder einen Sachverhalt bekannt, beispielsweise durch gegebene Größen oder textuelle Beschreibungen. Der Zielzustand/die Endsituation der Aufgabe beschreibt das Gesuchte. Dies kann ein konkretes (Lern-)Ergebnis oder ein Resultat sein, aber auch Behauptungen oder Schlussfolgerungen. Die dritte Komponente einer Aufgabe beschreibt die Transformation/Überführung des Anfangszustands in den Zielzustand. Dies kann eine Methode, ein vorgegebener Weg oder auch Regeln sein, nach denen vorgegangen werden soll. Beispielsweise ist in vielen Schulbüchern zur Einführung eines neuen Themas oft eine vollständig gelöste Aufgabe zu finden. Bei solch einer Aufgabe sind alle drei Komponenten gegeben: Die Aufgabenstellung als Anfangszustand, die Lösung der Aufgabe als Zielzustand sowie der Lösungsweg, oftmals sehr kleinschrittig, damit das Beispiel von den Schüler*innen gut nachvollzogen werden kann (vgl. Poloczek, 2014, S. 34). Jeder dieser drei Komponenten einer Aufgabe kann entweder bekannt oder unbekannt sein. Folglich ergeben sich daraus acht verschiedene Möglichkeiten, diese zu kombinieren, woraus sich acht Aufgabentypen aus der unterschiedlichen Bekanntheit der Komponenten ergeben. Dabei können alle acht Aufgabentypen verschiedene Funktionen für den Lernprozess zugeschrieben werden, die sich gegenseitig ergänzen (vgl. Bruder, 2008, S. 28). Bruder (2008, S. 28) stellt zudem eine durch langjährige Unterrichtserfahrung gestützte These auf, dass durch eine umfangreiche Verwendung und angemessener Bearbeitung aller acht Aufgabentypen im Verlaufe einer Unterrichtseinheit nachhaltiges Lernen stark gefördert wird. Darum setzt sich dieses Kapitel mit den verschiedenen Aufgabentypen auseinander sowie mit der Frage, welches Nutzen aus dieser Klassifikation entsteht. Klassifikation. Wie bereits erwähnt ergeben sich, je nach Bekanntheitsgrad der Komponenten einer Aufgabe, acht verschiedene Klassifikationen für Aufgaben. Daraus ergeben sich die in der folgenden Tabelle angegebenen Aufgabentypen (nach Polozeck, 2014, S.34 und Bruder, 2008, S. 28ff.): Beispielaufgabe: Anfangszustand bekannt. Methode bekannt. Zielzustand bekannt. Geschlossene Aufgabe: Anfangszustand bekannt. Methode bekannt. Zielzustand unbekannt. Begründungsaufgabe: Anfangszustand bekannt. Methode unbekannt. Zielzustand bekannt. Einfache Umkehraufgabe: Anfangszustand unbekannt. Methode bekannt. Zielzustand bekannt. Problemaufgabe: Anfangszustand bekannt. Methode unbekannt. Zielzustand unbekannt. Anwendung/Aufgabe finden: Anfangszustand unbekannt. Methode bekannt. Zielzustand unbekannt. Problemumkehr oder schwierige Umkehraufgabe: Anfangszustand unbekannt. Methode unbekannt. Zielzustand bekannt. Offene Situation: Anfangszustand unbekannt. Methode unbekannt. Zielzustand unbekannt. Nach Polozeck (2014, S. 34) ist diese Tabelle jedoch idealtypisch zu lesen: In der Praxis gibt es abgesehen von den acht Typen auch Zwischentypen, bei denen beispielsweise die Transformation nicht frei wählbar, aber auch nicht konkret oder im Detail vorgegeben ist. Des Weiteren sollte stets bedacht werden, dass eine Aufgabe alleine nicht eindeutig klassifiziert werden kann. Für eine Zuordnung muss auch die Verwendung und das Ziel im Unterricht betrachtet werden, sowie die Lernenden selbst. Darum gibt diese Klassifikation keine Auskunft über den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe (vgl. Bruder, 2008, S. 30), da zum einen der Spielraum innerhalb eines Aufgabentypens sehr groß ist und zum anderen immer der Kontext, in dem die Aufgabe gestellt wird, mit einbezogen werden muss. Vielmehr ist diese Klassifikation dazu geeignet, den eigenen Unterricht zu reflektieren. Es kann überprüft werden, wie vielseitig und kopfgesteuert der eigene Unterricht in Bezug auf die Aufgabenauswahl gestaltet wurde (vgl. Bruder, 2008, S. 30). Zudem führt eine große Aufgabenvielfalt nach der obigen Klassifikation zu einer höheren methodischen Vielfalt und es stellt den Lernenden Lerngelegenheiten bereit, die weit über ein Reproduzieren oder rezeptartiges Anwenden des Wissens hinausgehen und die Schüler*innen zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Lerninhalt anregen (vgl. Bruder, 2008, S. 30). Ein weiterer Nutzen der Klassifikation ist die Möglichkeit, gegebene Aufgabensammlungen anhand der Tabelle zu klassifizieren, wobei mögliche vorhandene einseitige Anforderungsprofile entdeckt werden können (vgl. Poloczek, 2014, S. 34). Solch einseitige Aufgabensammlungen können dann von der Lehrkraft weiter ergänzt/erweitert werden, sodass ein vielfältiges Aufgabenprofil für nachhaltiges Lernen entsteht. Die Tabelle gibt jedoch auch Hinweise dazu, wie man eine Aufgabe sehr einfach verändern kann, um dadurch eine größere Variationsbreite zu erhalten (vgl. Poloczek, 2014, S. 34), welche auch wieder zu einem vielfältigeren Unterricht führen kann. Beispiele und Erläuterung. Beispielaufgabe: Anfangszustand bekannt. Methode bekannt. Zielzustand bekannt. Eine Beispielaufgabe dient, wie der Name schon sagt, als ein Beispiel für die Schüler*innen. Anhand solcher Aufgaben können sie Inhalte oder Lösungswege nachvollziehen und sich an ihnen orientieren. Aufgaben dieser Art können gelöste Aufgaben und Musteraufgaben sein, aber auch Aufgaben zur Fehlersuche. Beispiel. Aus der Datenbank eines Schreibwarenladens sollen alle Artikel (Artikelnummer, Bezeichnung und Lagerbestand) ausgegeben werden, welche einen Bestand kleiner als 5 Stück haben. Die Artikel sollen dabei aufsteigend nach der Artikelnummer sortiert werden. Relationenschema: Bestand(Artikelnummer, Bezeichnung, Einkaufspreis, Verkaufspreis, Lagerplatz, Lagerbestand) Dazu könnte folgende SQL-Abfrage verwendet werden: SELECT Artikelnummer, Bezeichnung, Lagerbestand FROM Bestand WHERE Bestand < 5 ORDER BY Artikelnummer ASC; Geschlossene Aufgabe: Anfangszustand bekannt. Methode bekannt. Zielzustand unbekannt. Eine geschlossene Aufgabe besitzt meisten nur eine korrekte Lösung und kann gut zum Üben oder Wiederholen eingesetzt werden, aber auch zum Leisten oder Prüfen (siehe Funktionen von Aufgaben). Aufgaben dieses Typs zeichnen sich durch ihren gegebenen Weg aus, sodass bei solchen Aufgaben die Schüler*innen über das Wissen/die Regeln, wie diese Aufgabe gelöst werden muss, verfügen und sie dieses lediglich anwenden müssen. Beispiel: Ermittle aus der Datenbank des Schreibwarenladens mit dem Relationenschema Bestand(Artikelnummer, Bezeichnung, Einkaufspreis, Verkaufspreis, Lagerplatz, Lagerbestand) mithilfe einer SQL-Abfrage den aktuellen Lagerwert (Summe von Einkaufspreis * Bestand). Damit es sich hierbei um eine geschlossene Aufgabe handelt, muss den Schüler*innen die Funktion SUM() bekannt sein, damit der Weg für die Lernenden bekannt ist. Andernfalls würde es sich hierbei um eine Problemaufgabe handeln. Begründungsaufgabe: Anfangszustand bekannt. Methode unbekannt. Zielzustand bekannt. Bei einer Begründungsaufgabe geht es darum, den Weg oder die Methode zu finden. Oftmals gilt es zu begründen, wie der Anfangszustand in den Zielzustand transformiert wurde oder den Zusammenhang der beiden Zustände zu analysieren. Dazu gilt es, das Verfahren verstanden zu haben, um dieses zu erkennen oder begründen zu können. Somit fordert solch eine Aufgabe ein stärkeres Verständnis eines Sachverhaltes als eine geschlossene Aufgabe, welche einfach durch das Anwenden von Regeln oder Routinen gelöst werden kann. Beispiel: Gegeben sei das folgende Relationenschema einer Kundendatenbank. Kunden(KundenID, Kundenname, Kontaktperson, Adresse, Postleitzahl, Stadt, Land). Erläutern Sie, warum mit folgender SQL-Abfrage SELECT COUNT(KundenID), Land FROM Kunden GROUP BY Land ORDER BY COUNT(KundenID) DESC; die Anzahl an Kunden pro Land ermittelt werden kann. Um diese Aufgabe zu lösen, müssen die Schüler*innen die Funktion und den Aufbau von GROUP BY verstanden haben, sowie die Funktion COUNT(). Nur dann kann eine Begründung erfolgen, warum diese Abfrage die Anzahl an Kunden in einem Land als Ergebnis liefert. Einfache Umkehraufgabe: Anfangszustand unbekannt. Methode bekannt. Zielzustand bekannt. Das Ziel einer Umkehraufgabe ist es, den Anfangszustand zu ermitteln. Dazu muss der Zielzustand/das Ergebnis bekannt sein, aber auch der Weg, wie dieses Ergebnis erreicht wurde. Je nachdem, was als Anfangszustand und Zielzustand definiert ist, kann die Unterscheidung zwischen Umkehraufgabe und geschlossener Aufgabe jedoch nicht eindeutig sein. Dafür muss der Kontext, die Lernvoraussetzungen der Schüler*innen und die bis dahin behandelten Inhalte in Betracht gezogen werden. Beispiel: Marco führt auf der Kundendatenbank mit dem Relationenschema Kunden(KundenID, Kundenname, Kontaktperson, Adresse, Postleitzahl, Stadt, Land) folgende Abfrage durch: SELECT COUNT(KundenID), Land FROM Kunden GROUP BY Land HAVING COUNT(KundenID) > 5; Als Ergebnis erhält er folgende Tabelle: COUNT(KundenID)                              Land 13                                                         Norwegen 12                                                         Deutschland 10                                                         Frankreich 7                                                           Schweiz 6                                                           Niederlande Was wollte Marco mit dieser Abfrage herausfinden? Um diese Aufgabe zu lösen, muss die SQL-Abfrage nachvollzogen und verstanden werden. Ein reines Reproduzieren oder Anwenden von Regeln reicht hier nicht aus. Des Weiteren müssen den Schüler*innen die Funktionen GROUP BY und HAVING bekannt sein, damit der Weg bekannt ist. Ansonsten würde es sich hierbei um eine Problemumkehraufgabe handeln. Problemaufgabe: Anfangszustand bekannt. Methode unbekannt. Zielzustand unbekannt. Kennzeichnend für eine Problem ist nach Poloczek (20014, S. 34) ein gegebener, aber unerwünschter Anfangszustand und ein unbekannter, jedoch erwünschter Zielzustand. Zwischen den beiden Zuständen befindet sich jedoch eine Hindernis, welche zu Beginn der Aufgabe die Transformation von Anfangs- in Zielzustand verhindert. Um diese Barriere zu überwinden, müssen sich die Schüler*innen mit dem Problem auseinandersetzen und sich eine Lösung überlegen. Von den Schüler*innen werden Problemaufgaben meist zu Beginn als sehr schwierig oder gar als unlösbar empfunden, da solche Aufgaben sich dadurch kennzeichnen, dass es sich dabei um ungewohnte oder noch nie bearbeitete Aufgaben handelt (vgl. Bruder, 2008, S. 20) . Diese können auf den ersten Blick als unlösbar erscheinen. Für eine Lösung muss sich intensiv mit dem Problem auseinandergesetzt werden und die Lernenden verfügen (noch) nicht über das Wissen, wie solch eine Aufgabe/Problem gelöst werden kann. Um eine Aufgabe als Problemaufgabe zu klassifizieren, dürfen die Schüler*innen somit nicht über das Wissen/die Regeln verfügen, die benötigt werden, um die Aufgabe zu lösen. So kann eine Aufgabe zu einem Zeitpunkt in einer Unterrichtsreihe als Problem gesehen werden kann, zu einem späteren Zeitpunkt im Unterricht, bei dem die Schüler*innen nun jedoch über das Wissen verfügen, als geschlossene Aufgabe gesehen werden (da der Weg nun bekannt ist). Beispiel: Gegeben ist die Datenbank eines Fahrradhändlers. Das Relationenschema lautet wie folgt Fahrraeder(ArtikelNr, Name, Marke, Preis). Welche Marken stellen Fahrräder her, die doppelt so teuer sind wie der Durchschnittspreis aller Fahrräder. Geben sie die Marke und die Bezeichnung der einzelnen Fahrräder aus. Um zu ermitteln, welche Fahrräder doppelt so teuer sind die der Durchschnittspreis aller Fahrräder ist eine Unterabfrage nötig: SELECT Marke, Name FROM Fahrraeder WHERE Preis >= (SELECT 2*AVG(Preis) FROM Fahrraeder); Hierbei handelt es sich dann um eine Problemaufgabe, wenn die Schüler*innen bis zu dem Zeitpunkt der Aufgabe Unterabfragen noch nie verwendet haben/Unterabfragen im Unterricht noch nicht behandelt wurden. Falls den Schüler*innen Unterabfragen bereits bekannt ist, so kenne sie den Weg und es würde sich um eine geschlossene Aufgabe handeln. Darum ist es wichtig, den Kontext/Voraussetzungen zur Aufgabe in die Klassifizierung der Aufgaben miteinzubeziehen. Anwendung/Aufgabe finden: Anfangszustand unbekannt. Methode bekannt. Zielzustand unbekannt. Bei einer „Anwendung finden“-Aufgabe steht die Methode/der Weg im Vordergrund. Dieser ist gegeben, Anfangs- und Zielzustand sind unbekannt. Die Aufgabe für die Schüler*innen ist es, eine sinnvolle Verwendung für die gegebene Methode zu finden. Dazu müssen sie sich mit der Methode auseinandersetzten, um eine korrekte Anwendung zu finden. Alternativ können die Schüler*innen auch aufgefordert werden, sich zu einem gegebenen Werkzeug (bspw. Unterfunktionen) eine Aufgabe auszudenken. Beispiel: Wozu könnte das Erstellen eines Views in SQL sinnvoll sein? Überlegen Sie sich eine Beispielsituation und erläutern Sie, warum dort die Verwendung eines Views angebracht ist. Für die Lösung dieser Aufgabe müssen sich die Lernenden mit Views auseinandersetzten, um eine sinnvolle Anwendung zu finden. Problemumkehr oder schwierige Umkehraufgabe: Anfangszustand unbekannt. Methode unbekannt. Zielzustand bekannt. Ähnlich wie bei einer einfachen Umkehraufgabe gilt es hier, den Anfangszustand zu ermitteln. Zusätzlich ist hier jedoch die Methode unbekannt, die entweder herausgefunden oder sich überlegt werden muss. Dafür benötigen die Schüler*innen ein vertieftes Wissen der Lerninhalte. Für die Lösung der Aufgabe gibt es zudem meist mehrere Möglichkeiten, weshalb sie offener ist als eine einfache Umkehraufgabe. Darum wird eine Problemumkehr auch als eine schwierige Umkehraufgabe bezeichnet werden. Bei solch einer Aufgabe kann es sich jedoch auch um ein Modellierungsproblem mit einer gegebenen Zielvorgabe handeln (vgl. Bruder, 2008, S. 29). Beispiel: Überlegen Sie einen möglichen Sachzusammenhang und eine Fragestellung, die mithilfe der folgenden Abfrage beantwortet werden kann. SELECT ArtikelNr, Artikelname FROM Fahrraeder WHERE Beschreibung like ‚%Damen%‘ Offene Situation: Anfangszustand unbekannt. Methode unbekannt. Zielzustand unbekannt. In einer offenen Situation gibt es die wenigsten Vorgaben und den Schüler*innen werden sehr große Freiräume gelassen, in denen sie sich frei entfalten können. Oft wird lediglich eine Situation oder Lernumgebung gegeben/bereitgestellt, mit denen die Schüler*innen arbeiten sollen. Besonders zur Selbstdifferenzierung der Lernenden und zur vertieften Auseinandersetzung mit einem Thema ist eine solche Aufgabe gut geeignet. Beispiel: Überlege Sie sich ein Anwendungszweck für eine Datenbank. Modellieren und implementieren Sie diese mit MySQL und erstellen Sie für Ihren Sachverhalt relevante SQL-Abfragen. Erstelle eine Datenbank mit MySQL und führe auf dieser Abfragen aus.

Weiter zu Offene Aufgaben

Zurück zu Funktionen von Aufgaben