Einleitung.
Die Aufgabenstellung und -auswahl spielt bei der Individualisierung des Unterrichts und der Binnendifferenzierung einen wichtigen Beitrag. Gerade in der Informatik, in dem die Inhomogenität der Schüler*innen besonders groß ist (vgl. Schubert, 2011, S. 287) sollte die Binnendifferenzierung Teil des täglichen Unterrichts sein.
Darum darf in einem modernen, schülergerechten Unterricht, durch den alle Schüler*innen gleichermaßen gefordert und gefördert werden, auf Maßnahmen zur Binnendifferenzierung nicht verzichtet werden (vgl. Modrow, 2016, S. 201). Ein weiterer Vorteil eines differenzierten Angebotes ist es, dass durch die möglichen individuellen Lernwege eine Unter- oder Überforderung der Lernende vorgebeugt werden kann, wodurch wiederum die Leistungsmotivation der Schüler*innen gefördert werden kann (vgl. Poloczek, 2014, S. 33).
Ziel der Binnendifferenzierung ist es, die Schüler*innen individuell oder gruppenweise zu fördern und zu fordern. Dabei kann jedoch nach unterschiedlichen Kriterien differenziert werden, beispielsweise nach ihren Leistungen, ihren Lernfähigkeiten, ihren Interessen oder auch ihren Neigungen.
Schüler*innen können z.B. ein unterschiedliches Aufgabengebot bekommen, welches ihren Leistungsmöglichkeiten und/oder Interessen entspricht und so bearbeitet werden kann, dass es für den individuellen Lernprozess am gewinnbringendsten ist (vgl. Büchter, 2005, S. 102) . Auch durch abgestufte Lernhilfen und Arbeitsmaterialien, welche sich nach dem Schwierigkeitsgrad und der Bearbeitungszeit unterscheiden, kann eine Binnendifferenzierung erreicht werden. Für solche eine Differenzierung müssen die Aufgaben an den Leistungsstand der jeweiligen Schüler*innen angepasst sein, was gerade bei größeren Klassen sehr viel Zeit für die Erstellung von verschiedenen Aufgaben in Anspruch nehmen kann.
Eine weitere Möglichkeit der Binnendifferenzierung ist es, Aufgaben offen zu formulieren. Dadurch werden Schüler*innen zur Selbstdifferenzierung eingeladen, indem eine Aufgabe beispielsweise sehr unterschiedliche Lösungen und/oder Lösungswege zulässt (vgl. Poloczek, 2014, S. 35).
Um solche offenen Aufgaben, die zur Selbstdifferenzierung einladen wird es auf den folgenden Seiten gehen.
Geschlossene Aufgaben.
Geschlossene Aufgaben überprüfen in erster Linie das Wissen über Einzelheiten, Begriffe, Aussagen oder Definitionen. Sie haben eine bestimmte Lösung oder Antwort und verlangen eine zielgerichtete Antwort. Die Lehrkraft kennt in der Regel diese Antwort oder hat eine genau Vorstellung von dieser (vgl. Modrow, 2016, S. 205). Zumeist ist in der Aufgabenstellung das Lösungsverfahren bereits vorgezeichnet, welches allerdings noch nicht ausgeführt wurde. Dadurch steht mit dem Lösungsverfahren ebenso die Lösung fest; es gibt dadurch nur eine gültige Wahl (vgl. Büchter, 2005, S. 88ff.). Darum sind geschlossene Aufgaben besonders zum Leisten oder Prüfen geeignet, aber auch zum Wiederholen und Üben (siehe Funktionen von Aufgaben).
Offene Aufgaben.
Offen Aufgaben werden meist zum Lernen eingesetzt, wenn es um das Verstehen von Zusammen und Prozessen geht oder wenn individuelle Vorstellungen erhoben werden sollen. Durch solche Aufgaben können beispielsweise Modelle entwickelt werden oder komplexe Sachverhalte thematisiert werden, bei welchen zwar ein Ziel bestimmt ist (z.B. eine Datenbank für einen Fahrradverleih), der Lösungsweg oder die Art der Lösung jedoch nicht festgelegt sind. Des Weiteren regen offene Aufgaben die Schüleraktivität an, aber auch die Vernetzung von einzelnen Themenbereichen (vgl. Sturm, 2019, S. 168).
Charakteristisch für offene Aufgaben ist, dass sie nicht nur eine richtige Lösung besitzen. Stattdessen besitzen sie mehrere verschieden komplexe Lösungswege/-methoden, die zu einem vorgegebenen oder eigens erdachten Ziel führen (vgl. Modrow, 2016, S. 203).
Es wird weniger nach einer zielgerichteten Antwort verlangt als bei geschlossenen Aufgaben. Somit werden mehrere Vorgehensweisen und Lösungswege möglich/zugelassen, die sich auch stark in ihrer Komplexität unterscheiden können. Dadurch wird Raum für eigene Fragestellungen und Zielsetzungen gelassen, aber auch Irrwege dürfen begangen werden (vgl. Modrow, 2016, S. 203).
Ziele und Aufgaben von offenen Aufgaben (vgl. Modrow, 2016, S. 201ff.):
geben Raum für eigene Ideen und Lösungswege.
fördern und fordern eigenes Denken und kreative Einfälle.
übertragen Verantwortung auf die Schüler*innen.
fördern Problemlösefähigkeiten.
tragen zur Vernetzung von Wissen bei.
fördern eine aktive Auseinandersetzung mit einem Thema.
ermutigen Lösungen, die sich hinsichtlich Lösungsstrategie, Komplexität und Einfallsreichtum unterscheiden.
Ein weiteres wichtiges Ziel von Offenen Aufgaben ist nach Modrow (2016, S. 203ff.) die Erfahrung der Schüler*innen ein informatisches Problem zu lösen. Solche Aufgaben zeigen, dass es in der Informatik oft üblich ist, mit unscharfen Vorgaben der Auftraggeber arbeiten zu müssen und Informatiker für solche Probleme oftmals neue, eigene Lösungen finden müssen, die ggf. weiterhin an die Vorgaben angepasst werden müssen.
Vor allem aber fördern und fordern Offene Aufgaben, mit für die Schüler*innen selbst relevante Problemen, die kreativen Einfälle der Lernenden und auch die intrinsische Motivation der Schüler*innen (vgl. Modrow, 2016, S. 203f.)
Geschlossene vs. Offene Aufgabe (nach Modrow, 2016, S. 201ff. und Büchter, 2005, S. 88ff.)
Geschlossene Aufgaben: gegebener Ausgangswert. Vorgegebener Lösungsweg oder Anwendung eines Lösungsschemas. Eindeutige Lösung.
Offene Aufgaben: Wenige konkrete Vorgaben. Mehrere Lösungswege möglich, kein vorgegebener Lösungsweg. Keine eindeutige Lösung.
Öffnen von Aufgaben.
Es ist durchaus nicht einfach, Offene Aufgaben zu entwickeln. Jedoch kann nach Büchter (2005, S. 92ff.) die Kategorisierung von Aufgaben nach Bruder (2008, S. 18ff) (auf die Informatik übertragen von Poloczek, 2014, S. 34ff.) auch hierbei von großem Nutzen sein und Techniken zum Öffnen von vorhandenen Aufgaben bieten.
Je weniger über eine Aufgabe bekannt ist, desto offener ist die Aufgabe. Demnach ist eine Umkehraufgabe (Anfangszustand unbekannt, Transformation und Zielzustand bekannt) geschlossener als beispielsweise eine Problemaufgabe (Anfangszustand bekannt, Transformation und Zielzustand unbekannt). So können beispielsweise die Beispielaufgaben oder geschlossene Aufgaben durch eine Umkehrung oder durch Weglassen von Informationen in einen in der Tabelle weiter unten gelisteten Aufgabentyp umgewandelt werden und dadurch offener werden (vgl. Büchter, 2005, S. 95).
Beim Umwandeln der einzelnen Aufgabentypen in offener Aufgabentypen lassen sich nach Büchter (2005, S. 102) und Poloczek (2014, S. 35) verschiedene Techniken zum Öffnen von Aufgaben erkennen. So können Informationen oder andere Vorgaben (wie Lösungswege) weggelassen werden oder Ausgangssituationen variiert werden. Zudem kann eine Aufgabe umgekehrt werden (in eine Umkehraufgabe oder Problemumkehr transformiert werden) oder die Schüler*innen zur Begründung oder Strategiefindung aufgefordert werden. Die Schüler*innen können aber auch dazu aufgefordert werden, nicht nur eine, sondern mehrere mögliche Lösungen zu finden (Sturm, 2019, S. 170). Bei dieser Möglichkeit können sich die Schüler*innen besonders gut nach ihren Leistungen differenzieren: Leistungsstärkere Schüler*innen können mehrere Lösungen finden als etwas Leistungsschwächere Schüler*innen, wodurch Langeweile und Unterforderung vermieden werden kann. Büchter (2005, S. 102) ist auch eine Perspektiv- oder Zielumkehr eine Möglichkeit zur Öffnung. So können sich in der Informatik beispielsweise die Schüler*innen in die Position eines Auftraggebers versetzten und überlegen, welche Anforderungen sie für ein Programm oder eine Datenbank geben müssen. Lernende können aber auch zur Reflektion aufgefordert werden, indem sie beispielsweise ihren (Lösungs-)Weg begründen und mit anderen möglichen Wegen vergleichen/abwägen müssen. Aufgaben können jedoch auch vorzeitig (bezogen auf den Unterrichtsverlauf) gestellt werden, bevor die Schüler*innen die benötigte Lösungsstrategie behandelt haben (vgl. Sturm. 2019, S. 170) (siehe Beispiel Problemaufgabe in Aufgabentypen)
Wie bereits im Kapitel Aufgabentypen erläutert, führen solche Variationen des Aufgabenformates dazu, dass die Schüler*innen nicht nur auf einem Niveau arbeiten, sondern auch die Leistungsstärkeren Schüler*innen individuelle Fördermöglichkeiten bieten (vgl. Poloczek, 2014, S. 35).
Beispiele für das Öffnen von Aufgaben
Beispiel 1 (vgl. Modrow, 2016, S. 205f.):
Halboffene Aufgabe:
Schreibe mithilfe von Scratch ein Programm, in welcher die Katze ein Quadrat mit der Seitenlänge 50 zeichnet.
Diese Aufgabe ist bereits halboffen, da mehrere/verschiedene Lösungswege zugelassen sind (z.B. rein iteratives Programm oder for-Schleife)
Um diese Aufgabe noch weiter zu öffnen, kann sie noch allgemeiner Formuliert werden, ohne festes Ziel.
Offene Aufgabe:
Überlege dir eine kleine Animation in Scratch und setzte diese um.
Die Schüler*innen können nun ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Je nach Leistungsniveau können die Animationen mehr oder weniger Komplex werden. Jedem Schüler/jeder Schülerin wird aber eine Animation einfallen, sodass alle ein Kompetenzerleben haben. Zudem haben die Möglichkeit, ihre Lösungen ganz nach ihren Interessen und Leistungsfähigkeiten zu gestalten.
Beispiel 2 (vgl. Modrow, 2016, S. 206):
Geschlossene Aufgabe:
Verschlüssele mithilfe der Vigenère-Verschlüsselung und dem Schlüssel „informatik“ das Wort „algorithmus“.
Bei dieser Aufgabe ist die Ausgangssituation (das zu Verschlüsselnde Wort „algorithmus“), der Lösungsweg (Vigenère-Verschlüsselung mit dem Schlüssel „informatik“) vorgegeben. Daraus resultiert eine einzige korrekte Lösung („iylciutauea“).
Um hieraus eine offene Aufgabe zu erhalten, kann ganz einfach der Weg/das Mittel weggelassen werden.
Offene Aufgabe:
Erfinde eine eigene Verschlüsselung und verschlüssle damit das Wort „algorithmus“
Auch hier können sich die Schüler*innen nun beliebig komplexe Verschlüsselungen ausdenken. Zudem fördert/fordert es eine aktive Auseinandersetzung mit Verschlüsselungen, um sich selbst eine auszudenken, anstatt nur einem Verschlüsselungs-Algorithmus zu befolgen (wie in der geschlossenen Aufgabe).
Blütenaufgaben
Eine weitere Möglichkeit zur Binnendifferenzierung mithilfe von Aufgaben bietet das Modell der Blütenaufgabe. Sie bestehen aus mehreren Teilaufgaben, die voneinander unabhängig sind und verschiedene Schwierigkeitsstufen besitzen, sich jedoch auf mit der gleiche Grundthematik beschäftigen (vgl. Sturm, 2019, S. 174). Charakteristisch für Blütenaufgaben ist eine Unterteilung der Aufgaben in einen Pflicht- und Wahlteil (vgl. Poloczek, 2014, S. 37).
Der Pflichtteil ist dabei für alle Schüler*innen verpflichtend und bildet das Grundgerüst für die darauffolgenden Wahlaufgaben (vgl. Poloczek, 2014, S. 37). Die Aufgaben sollten jedoch zum einen niederschwellig sein, sodass diese Aufgaben auf den Grundkenntnissen beruhen und für alle Schüler*innen machbar erscheint (vgl. Bruder, 2008, S. 42). Dadurch kann eine Demotivation bei den Leistungsschwächeren Schüler*innen vermieden werden. Des Weiteren werden durch Unterschiedliche Pflichtaufgaben den Schüler*innen unterschiedliche Zugänge zu einem Thema ermöglicht, sodass sich die Lernenden über ihren eigenen Weg der Thematik zuwenden können (vgl. Poloczek, 2014, S. 37). Die auf die erste Pflichtaufgabe folgenden Pflichtaufgaben sollten sich in ihrem Anforderungsniveau trotzdem schrittweise steigern, beispielsweise durch ihre Komplexität oder dem Ausführungsaufwand (vgl. Bruder, 2008, S. 42). Ansonsten besteht die Gefahr des Überdrusses bei den Leistungsstärkeren/-bereiteren Schüler*innen.
Nach dem Pflichtteil folgt der Wahlteil der Blütenaufgabe. Bei diesen können die Schüler*innen Aufgaben aus einem Aufgabenangebot gemäß ihren individuellen Fähigkeiten und Interessen wählen (vgl. Poloczek, 2014, S. 37). Durch verschiedene Wahlaufgaben mit unterschiedlicher Komplexität können hier auch die Leistungsstärkeren gefördert werden. Sie können sich für schwierigere Aufgaben entscheiden und/oder mehrere Aufgaben bearbeiten.
Bei Blütenaufgaben wird den Schüler*innen sehr viel Eigenverantwortung übertragen. Sie müssen sich selbst und ihre Leistungsbereitschaft einschätzen und sich dementsprechend für eine Wahlaufgabe gemäß ihren Fähigkeiten entscheiden (vgl. Poloczek, 2014, S. 37). Des Weitern bieten Blütenaufgaben ein relativ einfaches Modell zur Binnendifferenzierung im Unterricht und die Möglichkeit, individuell die Schüler*innen zu fördern (vgl. Sturm, 2019, S. 174).
Eine Mögliche Struktur für eine Blütenaufgabe könnte wie folgt aussehen (nach Poloczek, 2014, S. 37):
Basiskönnen (Pflichtteil): a. Grundaufgabe. b. Umkehraufgabe.
Darauf folgt:
Regelstandard (Wahlteil): c. Begründungsaufgabe. c. Schwierige Bestimmungsaufgabe.
Darauf folgt:
Zusatz (Wahlteil): d. Offene Problemstellung. d. eigene Aufgabe erfinden.
Beispiel Blütenaufgabe.
Aus den Beispielen für die einzelnen Aufgabentypen nach Poloczek (2014, S. 38) lässt sich eine Blütenaufgabe formulieren.
Zu Beginn bekommen die Schüler*innen den Arbeitsauftrag für die Blütenaufgabe:
Bearbeite die Aufgabenteile 1 und 2. Wähle von den restlichen Aufgaben eine aus, welche du bearbeiten möchtest.
Die einzelnen Aufgaben können dann wie folgt aussehen:
Aufgabe 1 (geschlossene Aufgabe).
Ermittle aus der Datenbank eines Versandhauses den aktuellen Lagerwert (Lagerwert = Summe von Einkaufspreis * Bestand). Das Relationenschema sieht wie folgt aus:
Bestand(Artikelnummer, Bezeichnung, Einkaufspreis, Verkaufspreis, Lagerplatz, Lagerbestand, Händler)
Aufgabe 2 (Umkehraufgabe).
Das Versandhaus hat neben der Tabelle für den Bestand auch eine Tabelle, in der die Kunden gespeichert werden. Diese Tabelle hat folgendes Relationenschema:
Kunden(KundenID, Kundenname, Adresse, Postleitzahl, Stadt, Land)
Für eine statistische Erhebung wird folgende SQL-Abfrage ausgeführt:
SELECT COUNT(KundenID), Land, FROM Kunden GROUP BY Land ORDER BY COUNT(KundenID) DESC;
Welche Daten sollen durch diese Abfrage erhoben werden?
Aufgabe 3 (Begründungsaufgabe).
Begründe, warum mit folgender SQL-Abfrage auf der Tabelle Bestand aus Aufgabe 1 der Gewinn der einzelnen Artikel ermittelt werden kann.
SELECT Artikelnummer, Verkaufspreis – Einkaufspreis AS Gewinn, Lagerbestand FROM Bestand;
Erweitere die Abfrage so, dass die Artikel aufsteigend nach dem Gewinn sortiert werden.
Aufgabe 4 (Problemaufgabe).
Die Datenbank des Versandhauses soll zudem noch die Bestellungen der einzelnen Kunden verwalten. Überlege, wie dies umgesetzt werden kann und implementiere deine Ideen.
Aufgabe 5 (offene Situation).
Überlege dir einen weiteren Sachverhalt, in dem eine Datenbank verwendet wird. Modelliere und implementiere diese und erläutere deine Entscheidungen und Vorgehensweisen.