Grunderfahrungen/ Begründung Schulfach Informatik
Da Informatik in einigen Bundesländern (unter anderem in Hessen, Stand 2020) kein verpflichtendes Schulfach ist, gibt es viele öffentliche Diskussionen über eine Begründung des Schulfachs Informatik. Viele Informatikdidaktiker und auch die Gesellschaft für Informatik versuchen sich seit Jahren dafür einzusetzen, dass Informatik in ganz Deutschland zu einem Pflichtfach wird. In vereinzelten Bundesländern wurde dieser Schritt bereits vollzogen.
Die Schüler*innen werden heutzutage täglich mit Informatiksystemen konfrontiert. Ein grundlegendes Verständnis ist daher wichtig, um die Lebenswelt zu verstehen und kritisch zu reflektieren. Zudem werden informatische Kenntnisse in immer mehr Berufen verlangt.
Für eine gute Argumentationslage wird deshalb versucht, den allgemeinbildenden Charakter der Informatik herauszuarbeiten. Die drei Grunderfahrungen beschäftigen sich mit genau diesem Beitrag der Informatik für die Allgemeinbildung. Des Weiteren wird sich auch mit der Fragestellung auseinandergesetzt, ob ein eigenes Fach Medienerziehung anstelle eines Faches Informatik ausreichend ist.
Eine Vielzahl an Didaktikern hat den allgemeinbildenden Wert informatischer Bildung herausgearbeitet. Auf dieser Seite sind die grundlegendsten Aussagen zusammengestellt.
Schubert & Schwill
Schubert und Schwill haben basierend auf ihrer Annahme, dass Informatik teil aktueller sozialer, ökonomischer und technischer Entwicklungen ist vier Grundaussagen formuliert, warum Informatik einen allgemeinbildenden Charakter hat.
Vier Grundaussagen:
„Informatikunterricht dient der Entmystifizierung des allmächtigen Computers
Der überall geplante Einsatz der Datenverarbeitung bedingt Grundkenntnisse bei allen Bürgern. Zugleich können Politiker hierdurch den zu erwartenden gewaltigen finanziellen Aufwand gegenüber den Bürgern rechtfertigen.
Die Denkweise der Informatik ist universell verwendbar.
Die durch die Datenverarbeitung gegebenen technologischen Neuerungen beeinflussen das Gesellschaftsgefüge und müssen vom Bürger bewältigt werden.“ (Schubert & Schwill 2011, 26)
Hubwieser
Auch Hubwieser hat den allgemeinbildenden Wert informatischer Bildung beschrieben:
Erstens soll informatische Bildung Fähigkeiten vermitteln, welche nicht trivial zu erlernen sind und entweder in der Lebenswelt oder der beruflichen Karriere von Nutzen sind. Eine reine Bedienerschulung ist damit ausgeschlossen. Zweitens soll informatische Bildung ein Verständnis für Diversität bezogen auf kulturelle, geschlechtsspezifische und soziale Unterschiede fördern, sodass die Schüler*innen die Vorteile darin erkennen. Drittens soll informatische Bildung dazu beitragen Informatiksysteme und ihren Einfluss in der Welt zu identifizieren. Dazu zählt auch die Bedeutung von Informationen in der heutigen Lebenswelt. Viertens soll informatische Bildung die Schüler*innen darin unterstützen neue informatische Technologien kritisch zu reflektieren. Ihr Wissen über Chancen und Grenzen ermöglicht es den Schüler*innen einen wertvollen Beitrag an öffentlichen Diskussionen zu leisten. Fünftens soll informatische Bildung dazu beitragen verantwortungsbewusst mit den neu erworbenen Fähigkeiten umzugehen. Sechstens soll informatische Bildung des Selbstvertrauen der Schüler*innen in die eigenen Fähigkeiten stärken und ein Bewusstsein dafür erschaffen selbst die Informatiksysteme zu kontrollieren und nicht davon gelenkt zu werden (vgl. Hubwieser 2007, 62 – 64).
Im Zusammenhang mit der Diskussion über die Einführung eines eigenen Fachs Informatik wird von Kritikern immer wieder das Argument genannt, dass doch ein eigenes Fach Medienerziehung wesentlich sinnvoller wäre als ein Fach Informatik. Hubwieser hat sich der Kritik angenommen und selbst Argumente gesammelt, warum ein Fach Medienerziehung nicht ausreicht.
Die Schüler*innen sind ohne ein Verständnis der genauen Funktionsweise von Informatiksystemen abhängig von wenigen Experten.
Die Schüler*innen sollen sich durch Hintergrundwissen über Computer der Notwendigkeit von Bildung bewusst werden. Ein grundlegendes Verständnis ist essenziell, um die Fülle an Informationen in der modernen Welt kritisch zu reflektieren.
Die Schüler*innen sollen erkennen, dass Computer von Menschen programmiert und kontrolliert werden. Sie verstehen, dass Computer nur auf sie speziell zugeschnittene Aufgaben erledigen können und nicht allmächtig sind. Computer dienen also dazu den Menschen bei wiederholenden Arbeiten zu entlasten. Die allgemeine Problemlösefähigkeit muss allerdings vom Menschen ausgehen.
(vgl. Hubwieser 2007, 60 – 61)
Die Grunderfahrungen der Informatik sollen den Beitrag der informatischen Bildung für die Allgemeinbildung aufzeigen. Diese Erfahrungen geschehen indem die Schüler*innen den Nutzen der vermittelten Inhalte des Unterrichts in ihrer Lebenswelt erkennen. Orientiert wurde sich bei der Ausarbeitung der Grunderfahrungen der Informatik an den bereits existierenden Grunderfahrungen der Mathematik. Im Folgenden sind die drei Grunderfahrungen der Informatik erklärt.
Grunderfahrung 1: „Informatikunterricht ist dadurch allgemeinbildend, dass er als Grunderfahrung ermöglicht, Informatiksysteme und ihre Wirkungen in unterschiedlichen Lebensbereichen zu entdecken, zu verstehen und zu bewerten.“ (Bethge & Fothe 2014, 37)
Grunderfahrung 2: „Informatikunterricht ist dadurch allgemeinbildend, dass er als Grunderfahrung ermöglicht zu erkennen, dass sich Handlungen, die man tut oder plant, als Algorithmen formulieren und ggf. weiter in Programme überführen lassen, dass sich Realitätsausschnitte durch Modellierung für ein Informatiksystem aufbereiten lassen und das Informatiksysteme von Menschen gestaltet sind.“ (Bethge & Fothe 2014, 37)
Grunderfahrung 3: „Informatikunterricht ist dadurch allgemeinbildend, dass er als Grunderfahrung ermöglicht, in der Auseinandersetzung mit Aufgaben Problemlösungsfähigkeiten zu erwerben, die inner- und außerhalb des Informatikunterrichts und auch außerhalb der Schule anwendbar sind.“ (Bethge & Fothe 2014, 37)
Im Folgenden sind einige Beispiele erläutert, wie Schüler*innen die Grunderfahrungen machen können.
Die Grunderfahrung 1 können die Schüler*innen in einer Einführungsstunde über künstliche Intelligenz machen. Nach einer kurzen Erläuterung der Fundamentalen Ideen Klassifikation identifizieren die Schüler*innen Systeme des alltäglichen Lebens, welche dieses Konzept nutzen. Beispiele dafür sind Gesichtserkennungssysteme auf dem Smartphone oder auch Sprachassistenten. Anschließend kann über den Umgang mit den eigenen Daten oder über die Folgen von Fehlern der künstlichen Intelligenz diskutiert werden.
Die Grunderfahrung 2 können die Schüler*innen durch eine Erläuterung von Sortieralgorithmen machen. Dafür sollen sie zuerst ein Kartenset aufsteigend nach der Wertigkeit sortieren. Anschließend können sie ihre eigene Herangehensweise in Pseudocode darstellen. Dieser wiederum kann in einer beliebigen Programmiersprache implementiert werden. Die Modellierung von Realitätsausschnitten können die Schüler*innen dadurch erfahren, dass sie einen Busfahrplan mit Hilfe eines Graphen darstellen.
Die Grunderfahrung 3 können die Schüler*innen durch die Darstellung von Sachverhalten durch Struktogramme machen. Die grundlegende Arbeitstechnik gibt den Schülern*innen einerseits ein realistisches Bild eines Berufs in der IT-Branche, kann andererseits aber auch im Biologieunterricht bei der Erfassung eines Sachtextes hilfreich sein.
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